Letze Aktualisierung Bernhard Merl 09.01.2022

©Lauftreff Teublitz 1987

 

 

 

Jede Menge Kultur und ein Halbmarathon
Herbstausflug des Teublitzer Lauftreff in die ungarische Hauptstadt
01. – 06.09. 2005

„Mein Gott, wer fährt denn heute noch nach Ungarn, wo einem doch durch Billigflüge die ganze Welt offen steht? Das war doch früher mal was für die Parteikader der ehemaligen DDR oder für irgendwelche Kegelclubs aus dem Westen, die sich am Plattensee einen billigen Rausch antranken! Aber heute! Und laufen kann man doch überall.“
So ähnlich könnte ein spontaner Zeitgenosse das Ansinnen des Lauftreff kommentiert haben, heuer einmal seine Herbstfahrt von Italien nach Ungarn zu verlegen. Zugegeben, es gibt spektakulärere Gegenden auf dieser Welt. Bei diesem Land muss man genauer hinsehen. Sein Charme erschließt sich dem Besucher nicht sofort. Interessant wird das Land erst, wenn man ein wenig seine Geschichte mitdenkt. Als Teil der Habsburger Donaumonarchie war es eng mit der deutschen Geschichte verbunden, ein Bezug,  der in der Zeit des Nationalsozialismus einen traurigen Höhepunkt erlangte. Bei der Wiedervereinigung spielte Ungarn keine geringe Rolle, wie wir alle wissen, und nach der EU-Osterweiterung ist es weiter ins politische Interesse geraten.
Gleichwohl, der Grund der Reise der Teublitzer war natürlich zu allererst, ein paar ruhige Tage zu verbringen, einfach zu schauen, verbunden mit einem Halbmarathon, der wieder als Höhepunkt der Laufsaison gelten sollte. Dafür war gleich Budapest gerade recht. Die gigantische Fülle der historischen Bauten erschlug den Besucher förmlich. Eine Stadtrundfahrt führte zuerst ins ältere Buda, zu Matthiaskirche, Fischerbastei und auf den Gellertberg, bevor es ins gegenüberliegende Pest ging mit dem Prachtbau des Parlaments. Es gab insgesamt viel „Neo“ zu sehen, Neoklassizismus, Neogotik usw., und man glaubte, ähnliches irgendwo schon mal gesehen zu haben: Der Wille hinter den anderen Metropolen der Donaumonarchie nicht zurückzustehen, ist ganz offensichtlich. Gleichzeitig tut sich hier ein seltsamer Kontrast auf: Auf der einen Seite die vertraute Architektur, schlägt man jedoch eine Zeitung auf oder hört die Leute sprechen, könnte man zweifeln, ob man sich überhaupt noch in Europa befindet. Wir wissen jetzt, dass dies mit einer andersartigen Sprachtradition zusammenhängt.
Die beste Aussicht auf die Stadt bot sich dem Betrachter von dem schon angesprochenen Gellertberg. Und wer schon einmal in Prag war, dem mochte ein Vergleich mit dieser Stadt in den Sinn kommen. Hier die Donau mit ihren mächtigen Brücken ,            vor allem der Kettenbrücke, die das Stadtbild beherrschen, dort die Moldau mit der repräsentativen Karlsbrücke. Beide Flüsse teilen die Städte, Prag in Hradschin und Kleinseite, Budapest in Buda und Pest. Politisch und kulturell waren sie Zentren der Habsburger Donaumonarchie und haben den Charakter von Metropolen ihrer jeweiligen Länder bewahrt. Es heißt so schön:     „Alle Wege führen nach Rom“, auf Budapest träfe dieses Wort noch eher zu. Außer einer kreuzen alle Autobahnen Ungarns die Stadt,   sie besitzt sechs Universitäten und 1/5 aller Ungarn lebt hier. In der Tat, Budapest verharrt nicht in seiner Geschichte, wenn sie auch das  Pfund ist, mit dem es wuchert, um die Fassaden der alten Häuser wieder in Ordnung zu bringen. Allenthalben ist Aufbruchstimmung zu spüren, wovon 67 Theater und unzählige Ausstellungen zeugen. Leider hatte der Tag unangenehm begonnen, denn Angelika Pesold, die mit Mann und zwei Kindern mitgereist war, war beim Frühstück im Hotel die Handtasche abhanden gekommen, mit Geld und Wertsachen, deren immateriellen Wert sie besonders bedauerte. Hat es eine Bedeutung, dass Ladislaus, der nach  Stephan zweitwichtigster König Ungarns gewesen sein soll, für Diebstahl die drakonische Strafe des Abhackens der  Hand einführte? Wir wollen aber dem Ungarischen Volke nicht Unrecht tun, denn in dem Frühstücksraum waren viele Nationen vertreten und solche Niedertracht läßt sich überall finden.
Zum Glück war dieser Vorfall kein schlechtes Omen für die nächsten Tage. Es wäre ja auch zu schade gewesen, denn am nächsten Tag folgte der romantische Teil der Reise, eine Fahrt zum Sissyschloß nach Gödöllö. Die Romantik hielt sich aber auch wieder in Grenzen, denn Zustand und Geschichte des Barockschlosses kündeten sehr „realistisch“ von den Wirren der Zeiten, besonders der nach 1945, die von kultureller Ignoranz und verbohrter Ideologie geprägt war. Der jetzt restaurierte Teil diente als Altenheim, im restlichen Teil hatten die Russen Quartier bezogen, mit den entsprechenden Folgen. Andererseits schien die Hauptdarstellerin selbst, Kaiserin Elisabeth, keineswegs dem romantisierenden Bild, wie man es den Sissyfilmen entnehmen kann, zu entsprechen Im Gegenteil: Nachdem die Freiheitsbewegung in Ungarn 1848 wie überall in Europa gewaltsam niedergeworfen worden war,  erkannte Elisabeth die Zeichen der Zeit und setzte sich für mehr Selbstbestimmung des Ungarischen Volkes ein. Als verantwortungsvolle Regentin lernte sie ungarisch, dass sie in Wort und Schrift beherrscht haben soll. Auch das Schloß selbst, auch wenn man berücksichtigt, dass vieles von der ursprünglichen Einrichtung verloren gegangen ist, läßt auf keinen übermäßigen Luxus schließen. Eine beiläufige Bemerkung der Schlossführerin rundet schließlich das Bild einer aufgeklärten Frau ab: Ihr Lieblingsdichter sei Heinrich Heine gewesen. Die Verse des Dichters der Lorelei klingen zwar romantisch, aber sie sind schon von einer neuen Zeit erfüllt. Wie er sieht auch sie die alte Ordnung verblassen und die Ambivalenz der Zeit scheint ihr Spiegelbild in der Ruhelosigkeit beider Gemüt gefunden zu haben.
Wer fit war und sich zum Lauf gemeldet hatte, für den kam dann der große Tag, der Halbmarathon von Budapest. Aber auch die anderen waren mit den Läufern aufgebrochen um sich einen guten Platz zum Anfeuern zu sichern. Dies konnten sie sehr bald, denn nicht weit hinter der Spitzengruppe kam schon der Nuber Hans. Dieses Tempo konnte er zwar nicht ganz durchhalten, aber mit 1.27 im Ziel schaffte er eine ausgezeichnete Zeit. Aber auch die anderen Lauftreffläufer kamen alsbald sukzessive durch, und was das Wichtigste war, alle hatten es ins Ziel geschafft und konnten mit sich zufrieden sein. Der Süß Georg war sogar persönliche Bestzeit gelaufen. Am Abend dann sorgte ein Essen auf dem Schiff, während das beleuchtete Budapest vorüberzog, für die richtige Erholung für Leib und Seele.
Die Geschichte Ungarns sei geprägt von Unfreiheit und Unterdrückung, erklärte uns Silvia, die uns seit der Stadtrundfahrt als Führerin begleitete, in einem historischen Exkurs. Dafür hätten zuerst Türken, dann Habsburger und schließlich die Russen gesorgt. Erst seit 1989 sei das Land frei. Was aber wäre Ungarn ohne Paprika, von dem sogar die Nationalfarben stammen: Weiß von der Blüte, grün von den Blättern und rot von der Frucht? Es gehört zur berühmten Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Türken, unter denen die Ungarn am meisten litten, dieses Gewächs eingeführt haben. Auch das Nationalgericht, das Gulasch soll auf sie zurückgehen. Aber nicht Paprika-, sondern riesige Maisfelder nach planwirtschaftlicher Manier, unterbrochen von kleinen Dörfern, dominierten das Bild, das sich den Besuchern bei einem landeskundlichen Ausflug ins Landesinnere bot. Wer diese Felder wohl anbaut? Die paar Leute in den Dörfern jedenfalls schaffen dies nicht. In Kalocsa nutzte die Gruppe die Gelegenheit, ein Paprikamuseum zu besuchen, bevor es in die Puszta ging. Weithin flaches Land, so auch der Name Puszta übersetzt, bis an den Horizont, nahm die Reisenden auf. Verfallene Ziehbrunnen ragten bisweilen aus der Landschaft, ein paar Herden grasten. Mit Recht sprach Silvia meist im Imperfekt, wenn sie von den großen Schaf- oder Pferdeherden erzählte. „ Es war einmal...“, wie auch bei uns in Deutschland die alte Bauernkultur weitgehend in Freilandmuseen konserviert ist. An eine solche Einrichtung war man erinnert, als die Gruppe schließlich auf dem Landgut Somodi Tanya eintraf. Hier führten tollkühne   Reiter die alten Reiterspiele der Pferdehirten und für die Puszta charakteristische Dres-suren vor. Die Sache war umso kurzweiliger, als sich auch die Gäste im Esel- und Pferdereiten üben konnten, was unter großer Heiterkeit ausgiebig praktiziert wurde. Ein gutes Essen im Freien schloß sich an. Als es schon ein wenig dämmerte, spannte der Besitzer des Hofes seine Pferde nochmals zu einer Kutschfahrt durch die Puszta an. Eine völlige Ruhe lag über dem Land, einzelne Bewohner sah man langsam von der Arbeit ihren abgelegenen Gehöften zustreben, und als dann der Nebel stieg und das feuchte Gras duftete, wurde die Poesie dieser Landschaft lebendig, die in so vielen Gedichten verherrlicht worden ist. Damit endete der Tag und eigentlich auch schon die Reise, denn am nächsten Tag hieß es schon wieder Abschied nehmen,  auch von Silvia, der es die unkomplizierte Oberpfälzische Art des Umgangs, besonders des Sepp, unseres tüchtigen Busfahrers, angetan hatte.

War also Ungarn eine Reise wert? Dem Raisonnierer am Anfang unseres Berichts rufen wir ein entschiedenes „ ja“ entgegen. Budapest hat uns allen gut gefallen, manche konnten sich gar nicht satt daran sehen. Über Mängel am Hotelkomfort sehen wir großzügig hinweg, sie waren im Preis inbegriffen. Auch bei den Pesolds machte sich nach der anfänglichen Aufregung heitere Gelassenheit breit, wofür ihnen der Chronist seinen Respekt ausdrücken möchte. Bleibt nur noch, dem Bernhard wieder für
die Vorbereitung zu danken und endlich zu schließen mit einem ad proximum annum, bis zum nächsten Jahr.
Helsinki, oder?

von Jakob Jobst