Liebe
Mitreisende, bevor der Verfasser dieser Zeilen mit seiner
Darstellung beginnt, muß er zuallererst um Euer Wohlwollen
bitten. So sehr er darum bemüht ist, einen Gesamteindruck
der Reise zu vermitteln, so wenig kann es ihm gelingen, einen
repräsentativen Querschnitt durch die Vorlieben der einzelnen
Mitglieder zu ziehen. Ein altes lateinisches Sprichwort sagt:
„De gustibus non est disputandum“, über Geschmack
kann man nicht streiten, da lässt sich keine Einigkeit
erzielen.
So manch einer hätte vielleicht dieses oder jenes Ereignis
mehr akzentuiert, vielleicht auch sich selbst besser gewürdigt
gesehen: seht es ihm nach: Er kann nur seine persönliche
Sicht der Dinge wiedergeben.Dies beginnt schon beim Ausstieg
aus dem Flugzeug in Palermo. Einige mögen strahlenden
Sonnenschein - wie es sich für den Süden gehört
– statt des bewölkten Himmels erwartet haben, doch
welch ein Unterschied zu der Kälte daheim! Und auch das
Unwetter in der folgenden Nacht, von einem Ausmaß, dass
wahre Sturzbäche durch die Straßen Palermos schossen,
ließ die Temperaturen nicht ungemütlich werden.
Dieses Schauspiel nämlich konnte unsere Reisegruppe betrachten,
als sie von Mondello aus, einem Vorort von Palermo, direkt
am Meer gelegen und Quartier der ersten Tage, am nächsten
Morgen mit dem öffentl. Bus zur Stadtbesichtigung Palermos
aufgebrochen war.Mit Alfons Zisler stand den Besuchern am
Samstag ein kundiger Führer zur Verfügung, der sie
nicht nur zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Palermos,
wie dem Normannenpalast, der darin enthaltenen Capella Palatina
und der Kathedrale führte, sondern ihnen auch die historischen
Verwicklungen erklärte, die sich hinter dem Gemenge von
Baustilen, den verschiedenen Stilrichtungen von Malerei und
Mosaikkunst verbergen.Wir finden oft byzantinisches, arabisches,
normannisches, spanisches in einem einzigen Raum verwirklicht.
So sehr sich die einzelnen Herrscherdynastien auch bekämpft
hatten, schon bestehende Kunstformen verschwanden nie. So
konnte sich die für den Norden Siziliens charakteristische
Mischkunst bilden. Kunstgeschichte als Spiegel der Eroberungsgeschichte.
Für den, der mehr auf die deutsche Geschichte fixiert
ist, mag am interessantesten sein, dass in der Kathedrale
von Palermo der Stauferkönig Friedrich II begraben liegt,
eine der bemerkenswertesten Gestalten des Mittelalters. Er
wurde auf Grund seiner außergewöhnlichen geistigen
Anlagen als „stupor mundi“, Staunen der Welt,
bezeichnet.
Palermo hieß in der Sprache der Phönizier, die
die Stadt gründeten, die „Glückliche“.
Diese Zeiten scheinen lange vorbei zu sein. Mittlerweile plagen
sie ein wahnwitziger Autoverkehr und eine Arbeitslosigkeit
von 26%. Über allem ist ein Hauch von Verfall zu spüren.
Übrigens soll es 387 Kirchen in Palermo geben –
oft ist wohl Gott nur letzte Zuflucht in den Kümmernissen
des Alltags.Eine Kirche der ganz besonderen Art – den
Lauf, der am Sonntag stattgefunden hat, überspringen
wir – konnte unsere Reisegruppe am Montag im Dom von
Monreale, wenige Kilometer über Palermo gelegen, bewundern.
Nicht um Gott zu preisen, sondern aus Rivalität mit dem
Erzbischof vom Palermo, dessen Kathedrale er an Pracht den
Rang ablaufen sollte, ließ Wilhelm II, der letzte Normannenkönig,
ihn erbauen. So der sizilianische Städteführer,
der für diese Sehenswürdigkeit zu uns gestoßen
war. In der Tat repräsentiert gerade diese Kirche die
bereits erwähnte Mischkunst am vollendetsten. Normannisch
die Architektur, arabisch neben vielen Details die Fenster
und byzantinisch die Mosaiken, die ganz und gar die Wände
verzieren. Das ganze Bauwerk soll noch zu 90% im Urzustand,
ohne jede Restauration, erhalten sein. Nur die Decke soll
im 19. Jahrhundert wegen eines Brandes erneuert worden sein.
Apropos Führer, beinahe hätten wir sie vergessen!
Noch vor Monreale hat sich unserer Gruppe eine Reiseleiterin
angenommen, die uns fortan durch Sizilien begleiten sollte.
Eine resolute Person, „tedesca“, die Deutsche,
wurde sie daher von ihren Kollegen genannt. Wohl auch deshalb,
weil sie noch im Säuglingsalter nach Deutschland kam
und erst seit 12 Jahren in Sizilien lebt. Ihre patriotische
Gesinnung schien dies nur noch zu fördern. „Tante
Anni“ durften wir sie nennen, was gar nicht zu ihren
32 Jahren passte, ihren „blonden Haaren, blauen Augen,
den Lippen einer Orchidee und den Kurven des Autodroms von
Monza“. So ihre bescheidene Selbstbeschreibung. Das
männliche Gegenstück – wisst Ihr noch –
hieß: „ein Mann mit blonden Haaren, blauen Augen,
muskulös und mit (mindestens) zweifacher Virilität.“
Wer weiß, vielleicht wäre sie einem kleinen Flirt
gar nicht abgeneigt gewesen. Ein junger Mann aus unserer Gruppe
nämlich…Halt! Hier ist es die Pflicht des Chronisten,
an sich zu halten und fortzufahren mit seinem Bericht, so
wie die Reise weiterging, nach Agrigent, der griechischen
Antike entgegen. Anna erzählte von der Geschichte Siziliens,
von den Phöniziern, den Griechen, den Römern, Byzantinern,
Arabern, Normannen, am Ende waren es 3 Jahrtausende, während
draußen die Landschaft des Landesinneren vorüberflog.
Sizilien ist ein sehr bergiges Land: zu 60% soll es aus Hügeln,
zu 25% aus Gebirge und nur zu 15% aus flachem Land bestehen.
Braune Felder, sehr kultiviert, überall. Weil man schon
im Altertum die Wälder wegen des Schiffbaus abgeholzt
hatte, reichen die Felder unmittelbar bis an den Fels, was
die wellige Struktur der Landschaft noch mehr hervortreten
lässt. Der Boden gilt als sehr fruchtbar. Schon in der
Römerzeit war Sizilien zusammen mit Nordafrika die Kornkammer
des römischen Reiches. In Agrigent traf unsere Gruppe
auf einen Kontrapunkt zu der feinen Mosaikkunst des Doms von
Monreale. Ursprünglich von den Phöniziern gegründet,
wurde es im 5. Jahrhundert v. Chr. von den Griechen erobert
und erlebte ein knappes Jahrhundert lang eine sagenhafte Blüte.
Davon zeugt das Tal der Tempel, eine Ansammlung von verschiedenen
griechischen Gottheiten geweihten Tempeln, imposant auf einer
Anhöhe über dem Meer gelegen. Der am besten erhaltene
ist der Concordiatempel, da er in späterer Zeit als Kirche
benutzt wurde. Bei einem kurzweiligen Spaziergang durch die
Anlage mit einer weiteren Städteführerin konnte
man die alten Zeiten ein wenig nacherleben.
Die Zeit der Griechen in Sizilien war im historischen Kontext
des Landes eine sehr bedeutende Epoche, die auch in der griechischen
Geistesgeschichte ihre Spuren hinterließ. Stellvertretend
sei Empedokles genannt, der letzte vorsokratische Philosoph.
Er stammte aus Agrigent. Den Abschluß des Tages bildete
eine Busfahrt bei Nacht auf einer Straße unterhalb der
nun beleuchteten Tempel, untermalt von Carl Orffs Carmina
Burana. Es war schon ein erhebendes Gefühl, das hier
den Besucher erfasste. Denn welch ein Gegensatz: unten auf
der Straße der pulsierende Verkehr, oben die Tempel,
ruhig, erhaben, unberührbar, einer längst vergangenen
Zeit entrückt, die in vielem noch immer rätselhaft
ist. Und doch soll noch eine kleine Besonderheit erwähnt
werden. Neben den Tempeln wachsen Ölbäume, von denen
wenigstens einer genauso alt sein soll, wie die Tempel selbst
– 2500 Jahre.
Die Tempel sind verfallen, der Ölbaum aber blüht
immer noch. Ein schönes Symbol für die Unvergänglichkeit
des Lebens.Der nächste Tag (Dienstag) schloss sich historisch
an den vergangenen an. Auf die griechische folgte die römische
Antike. In Piazza Armerina besichtigten die Sizilienfahrer
eine Ausgrabung, bei der ein Landhaus des Maximilianus Heraklius,
eines Mitregenten von Kaiser Diokletian Ende des 3. Anfang
des 4. Jahrhunderts n. Chr. freigelegt worden war. Die ganze
Anlage verrät einen luxuriösen Lebensstil. Sehenswert
die Mosaike, die exotische Jagdszenen, erotische Motive, sowie
Motive aus der griechischen Mythologie zeigen.
Die Darstellungen atmen aber nicht mehr den Geist des Lebenskräftigen,
sondern tragen den Charakter der Dekadenz. „Panem et
circenses“, Brot und Spiele hatten längst schon
den Lebensstil der römischen Gesellschaft geprägt.
Längst vorbei die Zeiten der „prisca virtus romana“,
der alterwürdigen Tugend der Republik. Einzelne Geister
der Zeit suchten vor den Perversionen der Gesellschaft Zuflucht
in der Philosophie. Aber noch sollte es 2 Jahrhunderte dauern,
bis andere Protagonisten die Weltbühne betraten.Nach
einem echt sizilianischem Mittagessen ging es weiter zum Ätna.
Die Bilder vom Ausbruch 2001 waren allen noch in frischer
Erinnerung. Von weitem schon war der Vulkan auf der Fahrt
von Piazza Armerina in Richtung Catania zu sehen. Von keiner
Wolke verhüllt, was um diese Jahreszeit, so Tante Anni,
sehr selten sein soll. Nur weißer Rauch aus seinem Hauptkrater
umspielte sein zerrissenes Haupt.
Aus einer Höhe von 2000 Metern bot sich seinen Besuchern
ein fantastischer Ausblick auf das Meer und die umliegende
Landschaft.
Wie Warzen wuchern die Nebenkrater aus seinen Flanken heraus,
schon dicht bewachsen, aber immer bereit, wieder aktiv zu
werden. Oben duldet der Berg keine Pflanze mehr. Nur noch
schwarze Lava, teilweise noch rauchend, kündete von seinem
zerstörerischem Werk.
Aber nicht nur unter seinen Anwohnern scheint er Angst und
Schrecken zu verbreiten, sein Anblick scheint auch seinen
Besuchern bisweilen in die Glieder zu fahren – ein Mitglied
der Gruppe hat doch glatt seinen Fotoapparat oben gelassen.
Der Tag endete in Giardini Naxos, wo ein feudales Hotel auf
uns wartete. Die Besucher aus Deutschland hatten bislang viel
Glück mit dem Wetter. Nach dem Unwetter der ersten Tage
schien meistens die Sonne bei Temperaturen von 20-25 Grad.
Bei herrlichem Sonnenschein ging die Fahrt dann auch von Naxos
aus weiter über das Nebrodigebirge an die Nordküste
der Insel in Richtung Cefalù.
Bei den Alcantara-Schluchten, einer Gebrigsklamm, machten
die Läufer ein erstes Mal Halt. Wer vom Lauf noch schwere
Beine hatte, konnte sich hier bei einer kurzen Kneippkur regenerieren.
Die Landschaft hatte sich total verändert. Nach dem Braun
der Felder im Inneren Siziliens empfing uns das frische Grün
von Orangen- und Zitronenhainen überall im Tal und auf
den Hängen. Anders als im nördlichen Europa hat
es in Sizilien heuer überdurchschnittlich viel geregnet,
was der Vegetation offensichtlich gut getan hat. Hinzu kommt,
daß die Wolken, die von Norden kommen, sich an den Hängen
der Küstengebirge abregnen und so für ein üppiges
Wachstum sorgen.
Von Herbstlaub keine Spur. Oleander, Jasmin, Hibiskus, Prunkwinde
und noch viele unbekannte Gewächse mehr erfreuten Auge
und Nase der dem kalten Herbst zu Hause Entflohenen.In Cefalù
verabschiedeten sich Anna und ihr Busfahrer Claudio. Die Gruppe
war aber in keiner Weise in Verlegenheit, sondern erkundete
auf eigene Faust die Stadt. Cefalù ist ein aufstrebender
Touristenort, der aber sein mittelalterliches Gepräge
mit vielen engen Gassen bislang noch erhalten konnte.
Wen es schon wieder in den Füßen juckte, der hatte
hier Gelegenheit zu einem kurzen Jog.
Ein paar zog es auch ans Meer, teils um zu baden, teils um
bei einem ausgiebigen Strandspaziergang dessen Weite und Rauschen
tief in sich aufzunehmen um, wenn wieder daheim angekommen,
noch lange von diesem Eindruck zehren zu können.Ja und
so ging diese Reise langsam zu Ende. Am nächsten Morgen
schon hieß es zeitig aufstehen, da sich wegen des Generalstreiks
in Italien die Abflugzeiten geändert hatten. Von Palermo
ging es über Rom schließlich wieder nach Hause.
Es waren schöne Tage in einem schönen Land, hervorzuheben
aber ist das harmonische Gemeinschaftserlebnis, was nicht
zuletzt der ruhigen und umsichtigen Leitung unseres Lauftreff-Chefs
zu verdanken ist, dem an dieser Stelle auch für die Mühen
der Organisation gedankt werden soll.
Freilich, hätte uns Tante Anni am Schluß der Reise
gefragt: „So, so, na wie war´s ?“, wir hätten
ihr bestimmt geantwortet: „Es geht so“.--- Bedanken
wollen wir uns aber auch bei unserem Chronisten, Jakob Jobst,
der seine persönlichen Eindrücke hier mit uns teilt,
denen wir uns alle nur anschließen können.------
von
Jakob Jobst